Die fünfte Verlegung fand am 12.09.2022 statt. Die Biografien sind in der Reihenfolge der Verlegung aufgelistet:
Familie Hirsch - Maximilianstraße 31
Der Kaufmann Hermann Hirsch (1875—1926) und seine Frau Sophie Durlacher (1875—1943) erwerben Anfang 1906 das „Wohnhaus mit Wirtschaftsräumen […], Hinterhaus mit Treppenhaus und Hofraum“. Das damals bereits 200 Jahre alte Anwesen gehörte zu den ältesten Speyerer Wirtschaften. Seit etwa 1860 ist hier ein Caféhaus ansässig, auch die Hirschs führen zunächst ein „Café Zentral“. Erst um 1913 richten sie in dem Anwesen ein Fachgeschäft für Herren- und Knabenbekleidung ein. Das Paar hat vier Kinder: Friedrich Josef (1897—1917) fällt im Ersten Weltkrieg. Heinrich Wilhelm („Willi“, geboren 1898) zieht am 3. März 1921 nach Berlin. Mathilda („Thilde“, 1899—1994) heiratet am 7. April 1921 Otto Thanhauser (1885—1956), sie ziehen im Mai 1921 nach Konstanz, emigrieren später nach den USA. Das Ehepaar Thanhauser hat zwei Töchter: Inge (1922—1955) heiratet 1941 Julius Bernheim (1895—1970), Ellen (geboren 1926) heiratet den gleichfalls emigrierten Henry David Greif. Der jüngste Sohn, Hugo Ernst Otto (1901—1953), wird 1926 Geschäftsnachfolger seines Vaters. Er kann am 15. September 1936 von Speyer nach Los Angeles, Kalifornien, USA, fliehen, mit ihm seine Frau Lilly, geborene Kaufmann, (1910—2000) und die beiden Töchter Marliese und Eveline, noch Kleinkinder. Die seit Juni 1926 verwitwete Mutter, Sophie Hirsch, war bereits anderthalb Jahre zuvor nach Los Angeles emigriert. Das arisierte Anwesen erwirbt am 29. August 1941 die Firma Geschwister Pfister oHG; 1950 erhält die kalifornische Erbengemeinschaft Hirsch (die Söhne Willi und Otto sowie ihre Schwester Thilde Thanhauser) das Anwesen nach einem Wiedergutmachungsurteil zurück. Als Otto Hirsch am 3. Februar 1953 in Los Angeles stirbt, geht sein Anteil an seine Witwe Lilly Hirsch. Sie heiratet später ein zweites Mal und stirbt am 15. August 2000. Ihre beiden Töchter sind mittlerweile ebenfalls verstorben: Die 1932 geborene Marliese Behrstock, geborene Hirsch, die ihre Geburtsstadt Speyer noch 2012 besuchte, stirbt am 15. Juni 2015, ihre 1935 geborene Schwester Eve Kessler am 21. April 2009. Am 4. November 2015 besucht der Amerikaner Jerry Greif die einstige Heimatstadt seiner Urgroßeltern Hermann und Sophie Hirsch. Das Anwesen Maximilianstraße 31 war 1954 an „Die Kaufstätte GmbH“ verkauft worden. 1983 übernimmt ein Hockenheimer Unternehmerehepaar das Anwesen und betreibt hier bis 1987 das Kaufhaus Baumann. 1987 eröffnet die Speyerer Metzgerei Biesinger hier unter dem Namen „Markt 31“ eine Geschäftszone mit einzelnen Geschäften im Lebensmittelbereich. „Markt 31“ schließt 1999 seine Pforten, um einer Optikerfiliale zu weichen.
Vor dem Haus Maximilianstraße 31 werden Stolpersteine für Sophie Hirsch, geb. Durlacher, das Ehepaar Otto und Lilly Hirsch, geb. Kaufmann, und deren Töchter Marliese und Eveline verlegt.
Familie Marx - Maximilianstraße 31
Der 1895 geborene Siegmund Marx aus Bödigheim/Baden heiratet 1921 in Dettelbach die gleichaltrige Bertha Steinberger. Kurz danach wird er Lehrer und Kantor im hessischen Gelnhausen. Zwei Söhne kommen zur Welt: Julius (1922-—1970) und Ernst (1925—2007). Siegmunds ältere Brüder Isidor (1886—1968) und Hermann (1890—Israel) sind gleichfalls Lehrer, seine Schwester Clara (1893—1973) heiratet einen Lehrer. Ende 1929 verpflichtet sich Siegmund Marx nach Rothenburg o. d. Tauber zur dortigen jüdischen Gemeinde als Gymnasiallehrer und Kantor. Wegen angeblicher Verleumdung zweier SA-Männer vom 12. bis zum 21. April 1933 in „Schutzhaft“ im dortigen bzw. im Ansbacher Gefängnis, wird die Anklage des Sondergerichts jedoch fallengelassen. Die Familie wechselt nach Speyer, sie wohnen in Maximilianstraße 31 (Haus der Witwe Hirsch). 1934 wird Siegmund Marx Mitglied des Synagogenrats. Der letzte Lehrer der jüdischen Gemeinde ist neben Reinhold Herz 1937 Verfasser geschichtlicher Artikel zur Speyerer Gemeinde. Im Sommer 1938 bestimmen ihn die Nationalsozialisten zum Leiter des israelitischen Altersheimes in Neu[1]stadt an der Weinstraße sowie als Kontakt zur Gestapo, die angeblich zeitweilig die Emigration von Kindern duldete oder förderte. Siegmund gehört mit seiner Frau zu den Begleitern von Kindertransporten nach Frankreich. Nach der Pogromnacht 1938 wird auch Siegmund Marx für Wochen nach Dachau verschleppt, mit dem 13-jährigen Ernst – von den Nationalsozialisten zur Wahl zwischen beiden Söhnen gezwungen. Julius kann noch im Dezember in die Schweiz emigrieren, Ernst wird von den Eltern in einem Kindertransport nach Frankreich gebracht. Am 17. April 1939 muss das Ehepaar zu Familie Mühlhauser in die Schraudolphstraße 26 umziehen. Am 17. August 1939 meldet Siegmund Marx sich und seine Frau nach Genf ab, eventuell zum dortigen Zionistenkongress (16. bis 25. August). Bei Kriegs[1]beginn werden beide als „feindliche Ausländer“ festgesetzt: Bertha in Gurs, Siegmund in einem Arbeitslager in der Gegend von Limoges. Später nach dem Lager Les Milles deportiert, wird er über das Lager Drancy am 7. September 1942 nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Seine Frau überlebt Gurs, schwer gezeichnet von Schlaganfall und Gedächtnisverlust. Das wechselvolle Schicksal Ernsts: vom französischen Internat in ein Kinderheim, vom Lager Gurs zur Résistance. Nach Kriegsende verpflichtet er sich für zwei Jahre zur französischen Armee. In Gières bei Grenoble trifft der Sous-Lieutenant Juni 1945 zufällig auf seine Mutter. Bis zum Ende von Ernsts Wehrdienst lebt Julius mit dieser in Grenoble. Am 6. Juni 1947 wandert die wiedervereinte Familie nach den USA aus; ein Onkel Berthas übernimmt Visa, Überfahrt und Affidavit. Julius stirbt 1970 bei einem Autounfall, Bertha 96-jährig im Jahre 1991. Ernest arbeitet in der Lebensmittelbranche, später als Teilzeit-Kantor. Seit 1978 lebt er in Louisville, Kentucky, als „religious director“ der jüdischen Gemeinde. Im Jahre 2000 besucht er Speyer. Am 8. Juli 2007 stirbt Ernest Marx, betrauert von seiner zweiten Ehefrau Thelma, den Söhnen Adam Marx und David Hammer (aus erster Ehe seiner Frau), den Töchtern Sharon Davis und Judith Bradley sowie den Enkeln Marah, Zachary und Julie Davis, Rachel und Jacob Bradley und Andrew Hammer.
Vor dem Haus Maximilianstraße 31 werden Stolpersteine für Siegmund und Bertha Marx, geb. Steinberger, sowie ihre beiden Söhne Julius und Ernst Marx verlegt.
Familie Wilhelm Schiff - Mühlturmstraße 26
Wilhelm Schiff wird am 14. Dezember 1875 als drittes Kind des Textilkaufmanns Moses Schiff und seiner Frau Mathilde in der ober[1]hessischen Kleinstadt Gladenbach geboren. Am 11. August 1911 heiratet er Mathilda Feuerstein. Sie ist die Tochter eines Viehhändlers aus dem unterfränkischen Großheubach. Das Paar übersiedelt nach der Hochzeit nach Speyer, wo am 12. Juli 1912 das einzige Kind Ilse geboren wird. Die Familie wohnt im Haus Mühlturmstraße 26 (früher Nr. 5). Wilhelm Schiff betreibt zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jakob auf dem angrenzenden Grundstück in der Oberen Langgasse 5a die „Brüder Schiff Kleider-Fabrik“. Nach dem Tod seines Bruders ändert er die Firmenbezeichnung in „Wilhelm Schiff Kleider-Fabrik“. Das Wohnhaus wird am 11. Januar 1939 unter Zwang an die Saarpfälzische Vermögensverwertungsgesellschaft veräußert, die es an Privatbesitzer weiterverkauft. Am 8. August 1939 zwingt man die Familie, in das sogenannte Judenhaus in der Herdstraße 3 umzuziehen, in dem bereits zwei weitere Familien untergebracht sind. Wilhelm und Mathilde Schiff werden am 22. Oktober 1940 ins französische Lager Gurs deportiert. Wilhelm stirbt dort mit 65 Jahren am 12. Januar 1941. Mathilde transportiert man im August 1942 über das Lager Drancy nach Auschwitz, wo sie am 31. August 1942 ermordet wird. Die Wohnungseinrichtung der Familie wird am 21. Februar 1941 öffentlich versteigert. Ilse gelingt am 10. August 1940 die Emigration in die USA. Sie heiratet im November 1947 Carl Katz (1908—1984) und lebt mit ihm in New York. Nach einer Restitutionsklage in den 1950er Jahren dürfen die neuen Eigentümer die Immobilie behalten und zahlen an die Tochter und Erbin Ilse lediglich einen relativ geringen Ausgleich. Ilse verstirbt 2003 mit 91 Jahren verwitwet und kinderlos.
Vor dem Haus Mühlturmstraße 26 werden Stolpersteine für Wilhelm und Mathilde Schiff, geb. Feuerstein, sowie ihre Tochter Ilse Katz, geb. Schiff verlegt.
Familie Jakob Schiff - Wormser Straße 12
Jakob Schiff wird am 8. November 1877 wie sein Bruder Wilhelm in Gladenbach in der Nähe von Marburg geboren. Er ist das jüngste Kind von Moses und Mathilde Schiff. Sein Vater, ein Textilkaufmann, stirbt, als Jakob sieben Jahre alt ist. Am 15. Januar 1920 heiratet er die 18 Jahre jüngere Erna Müller (geb. 1895) aus Müllheim im Markgräflerland und übersiedelt mit ihr nach Speyer. Hier wird am 11. Dezember 1920 Sohn Hans geboren. Jakob Schiff ist nun 43 Jahre alt und wohnt mit seiner Familie in der Wormser Straße 12. Sein Einkommen bezieht er aus der Kleiderfabrik, die er zusammen mit seinem in der Mühlturmstraße ansässigen älteren Bruder Wilhelm betreibt. Jakob stirbt am 30. Januar 1935 im Alter von 57 Jahren und wird auf dem jüdischen Friedhof in Speyer beigesetzt. Sein Bruder führt die Kleiderfabrik danach allein weiter. Jakobs Witwe Erna Schiff zieht am 31. Mai 1938 nach Mannheim in die Hebbelstraße 21 und emigriert am 1. Oktober desselben Jahres nach New York. Sie folgt ihrem Sohn, dem am 27. Juli 1936 die Emigration in die USA gelungen war gründet mit seiner amerikanischen Frau Barbara Larson (1923—1981) eine Familie. Er stirbt 2014 mit 93 Jahren in Vista, San Diego, Kalifornien. Seine Mutter Erna Schiff heiratet ein zweites Mal und lebt mit ihrem Ehemann Ernst Landon (früher Levy, 1914—1992) im Staat New York, USA.
Vor dem Haus Wormser Straße 12 werden Stolpersteine für Jakob und Erna Schiff, geb. Müller, sowie ihren Sohn Hans Schiff verlegt.
Familie Adler - Wormser Straße 23
Maximilian Adler, geboren am 20. Januar 1884 in Speyer, wächst mit sieben Geschwistern in der Wormser Straße 23 auf. Er übernimmt die Textilwarenhandlung seines Vaters Eduard und seiner Mutter Dina, geborene Hauser. Vier seiner Geschwister wandern in die USA aus. Nach seiner Heirat mit Selma Mayer am 5. Mai 1922 betreibt Max das Geschäft 18 Jahre lang, führt es durch alle politischen und wirtschaftlichen Krisen. Am 12. November 1938 wird er nach dem Brand der Synagoge mit allen männlichen erwachsenen Speyerer Juden ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, kann erst am 16. Dezember zurückkehren. Sein Haus wird noch 1938 an die Saarpfälzische Vermögensverwertungsgesellschaft veräußert, von der es die Kreishandwerkerschaft erwirbt. Am 22. Oktober 1940 wird das Ehepaar Adler samt dem 16-jährigen Sohn Eduard und etwa 50 weiteren Speyerer Juden ins südfranzösische Lager Gurs deportiert. Bei dieser sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion verschleppt man über 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland. Ihr Leidensweg führt das Ehepaar über das Lager Drancy bei Paris am 14. August 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz. Eduard hat im Lager Les Milles das Glück, im August 1942 vom Kinderhilfswerk OSE (Œuvre de Sécours aux Enfants) gerettet zu werden. Mit falschen französischen Papieren und rudimentären Sprachkenntnissen schlägt er sich als Holz[1]fäller durch. Bei einer Razzia der Wehrmacht im November 1943 festgenommen, gibt er sich als flämischer Belgier aus, um sein schlechtes Französisch zu kaschieren, und man transportiert ihn nach Paris in die Caserne Clignancourt, wo seine belgische Tarnung jedoch auffliegt. Da gründlichere Nachforschungen dort zur Aufdeckung seiner wahren Identität, auch als Jude, geführt hätten, somit zu Verhaftung oder Deportation, gerät er in der Clignancourt zu etwa 60 Franzosen, die sich angeblich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatten. Die militärische Ausbildung erfolgt bis September 1944 im Ausbildungslager Sennheim, Elsass. Eine genauere Aufschlüsselung des Zeitraums zwischen der Festnahme im November 1943 und dem September 1944 war nicht zu ermitteln, trotz der im Landesarchiv Speyer vorhandenen Unterlagen und der zum Wiedergutmachungsamt Saarburg gelieferten Akten. Obwohl letztere zahlreiche ältere Originaldokumente enthalten, die wichtige Aufschlüsse gaben, werden trotz aller Bemühungen nicht sämtliche Details geklärt werden können. Über Prag, wo Eduard Adler zwei Monate in einer Schreibstube Dienst tut, wird er nach Küstrin versetzt, 80 km östlich von Berlin. Nach kurzer Zeit dort am 2. Januar 1945 verwundet (heftige Kämpfe um den Küstriner Brückenkopf fanden erst ab Ende Januar statt), kommt er in das Lazarett in Aue, Erzgebirge, wo er am 6. Mai 1945 kurz in amerikanische Kriegsgefangenschaft gerät. Am 6. November 1945 ist er zurück in Speyer, lebt als Mieter im Elternhaus. Enttäuschend für ihn ist das bürokratische Verhalten der Stadtverwaltung bei seinem Bemühen, elterliche Möbel zurückzuerhalten. Am 15. Oktober 1946 heiratet er die protestantische Irma Wetzel, Tochter Brigitte wird am 12. März 1947 geboren. Eduard versucht die Textilwarenhandlung weiterzuführen, der geschäftliche Erfolg bleibt jedoch aus. Schließlich verkauft er das erst Mitte 1949 nach Restitutionsprozess an ihn zurückerstattete Anwesen im Dezember 1949 an Liesel Bauer und wandert Ende 1951 mit seiner Familie zu Verwandten nach Montgomery, Alabama, aus. Seit Mitte 1952 arbeitet er in Baltimore als Bäcker. 1987 stirbt Eduard Adler an einem Gehirntumor. Die Tatsache, dass er nach eigenen Angaben zur Waffen-SS gezwungen wurde, sorgte für lebhafte Diskussionen, ob Eduard Adler wegen dieser Zugehörigkeit einen Stolperstein bekommen kann. Vor einem jüdischen Ehrengericht 1947 sagt er unter Eid aus, unter Zwang in die SS eingetreten zu sein, die Gemeinde schließt ihn dennoch aus. Eine ausgewogene Beurteilung dieses wechselvollen Schicksals ist schwierig. Gunter Demnig schlug vor, für Eduard einen unbeschrifteten Stein zu verlegen, neben den Stolpersteinen für seine in Auschwitz ermordeten Eltern.
Vor dem Haus Wormser Straße 23 werden Stolpersteine für Maximilian und Selma Adler, geb. Mayer, sowie einen Blindstein für Eduard Adler verlegt.
Geschwister Kaiser - Otterstadter Weg 121
Josef (1921—1991) und Susanna (1922—2010) kommen als Kinder der unverheirateten Maria Kaiser zur Welt, ihre Väter sind farbige französische Besatzungssoldaten aus Madagaskar bzw. Marokko. 1926 heiratet die 23-Jährige Heinrich Laubenstein. Die dunklere Hautfarbe der Kinder stempelt sie früh zu Außenseitern; rassistische Vorurteile gegen diese Nachkommen sind verbreitet. Dies wirkt sich besonders ab 1933 auch auf Ausbildung und Beruf aus. In Speyer sollen sieben Kinder farbiger Besatzungssoldaten geboren worden sein, von etwa 400 Zwangssterilisierten im Gebiet des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Da die beiden Besatzungskinder von Marias Cousine Anna 1929 zum hier gastierenden Zirkus Stey gestoßen sind, folgt 1931 auch Josef Kaiser diesem Weg, zumal er sehr sportlich und kräftig ist. Nach Training mit dem Enkel des Zirkusdirektors treten beide erfolgreich als „die jüngsten Gladiatoren der Welt“ auf. Später ist Josef Teil einer Hochseil-Vierertruppe, bis Ende 1933 ein Arbeitsunfall seine Artistenkarriere beendet. Als „Nicht Arischer“ ohne Lehrstelle, muss er sich als Hilfsarbeiter verdingen. Im gleichen Jahr wächst am Otterstadter Weg ein Siedlungsprojekt; Josef arbeitet auf der Baustelle seines Stiefvaters mit, die Familie zieht in das Haus Nr. 53a, heute 121. Ab Sommer 1936 wird er beim Autobahnbau eingesetzt. Ein streng geheimer „Führerbefehl“ vom 18. April 1937 führt zu einer illegalen Geheimaktion der Gestapo gegen die „Rheinlandbastarde“: Zwangssterilisation. Eine amtsärztliche „Untersuchung“ und „Begutachtung“ geht dem Eingriff vor[1]aus. Wegen des drohenden Eingriffs heuert Josef auf einem Frachter an, jedoch ist keine Flucht möglich – der Schiffsführer lässt ihn weder von Bord noch zahlt er Heuer. Schließlich kann Josef als Erntearbeiter von Juni bis Oktober 1937 bei Bauer Wilhelm Meyer in Winden untertauchen. Dann droht das Gesundheitsamt seiner Mutter mit Konsequenzen, wenn sich ihr Sohn nicht bis 15. Oktober melde. Josef erkrankt jedoch an Diphtherie, kommt ins Speyerer Diakonissenkrankenhaus. Als seine Mutter das Amt aufsucht, wird sie unter Druck gesetzt, mit Konzentrationslager bedroht, sodass sie schließlich der Sterilisation des 16-Jährigen zustimmt. Die Gestapo entführt Josef Kaiser bei seiner Entlassung aus dem Speyerer Krankenhaus nach Ludwigshafen, wo er am 29. Oktober 1937 zwangssterilisiert wird. Das gleiche Schicksal war seiner Schwester Susanna am 5. Juni 1937 widerfahren. „Als geheilt entlassen“, verweigert man Josef eine Bescheinigung über den tatsächlichen Eingriff. Der „Wehrunwürdige“ wird ab Mitte 1943 Fahrer bei der Organisation Todt, eine paramilitärische Bautruppe. September 1944 kehrt er nach Speyer zurück, Ende 1945 heiratet er Herta Grimm. Dank des Artistentrainings seiner Jugend ist er nach wie vor sehr sportlich, tritt später in den AV03 (Athletenverein 1903 Speyer e.V.) ein, wo er als Gewichtheber sportliche Erfolge feiern kann. Doch weder „Wiedergutmachung“ noch eine kleine Rente können ein zerstörtes Leben „wiedergutmachen“ oder „entschädigen“ – Josef Kaiser leidet lebenslang an Depressionen und Unsicherheiten. Dies und Krankheiten führen zur vorzeitigen Verrentung; an Leib und Seele geschädigt, stirbt er 1991 an Nierenversagen. Susanna Kaiser wird Arbeiterin: zunächst in der Baumwollspinnerei, dann bei der Firma Klais Eisschrankfabrik Speyer. Seit 1941 bei der Firma Siemens in Speyer, wird sie für ihre lose Bekanntschaft mit einem belgischen Kriegsgefangenen 1943 zu sieben Monaten Haft verurteilt (Frauenjugendgefängnis Frankfurt-Preungesheim). Im Juli 1945 heiratet sie den ehemaligen französischen Kriegsfangenen Marcel Médard (1923—1999), sie kehren in sein Heimatland zurück. 1960 ziehen beide nach Speyer. Susanna Médard stirbt 2010.
Vor dem Haus Otterstadter Weg 121 werden Stolpersteine für Josef Kaiser und seine Schwester Susanna Médard, geb. Kaiser verlegt.